Zuletzt aktualisiert: „Viele denken beim Thema Customer Experience nur an die einzelnen Kundentouchpoints“

„Viele denken beim Thema Customer Experience nur an die einzelnen Kundentouchpoints“

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Drei Experten, mehrere Sichtweisen, ein Thema: Digitalisierung von Kundenprozessen. Ist der Hype um Customer Experience (CX) berechtigt? Worauf muss man achten? Und welche Missverständnisse gibt es?

Ich habe die gefragt, die es wissen müssen. Roland Boes ist Director Innovation & Portfolio beim CX-Beratungshaus Sybit. Tilo Freund beschäftigt sich als Leiter des DSAG Arbeitskreises Customer Experience und Agile Coach bei der IBsolution GmbH tagtäglich mit Kundenerlebnissen. Und Sven Feurer ist als Senior Director Product Strategy & Operations bei SAP Customer Experience in Walldorf tätig. Hier stehen sie mir gemeinsam Rede und Antwort.

Starten wir direkt: Welche Unternehmen sollten sich heute unbedingt mit der Customer Experience beschäftigen? Und warum?

Roland Boes: Jedes Unternehmen hat ja Prozesse, um Kunden zu gewinnen, sei es vertrieblicher Natur oder im Bereich Service. Natürlich hat jedes Unternehmen, das erfolgsorientiert arbeitet, auch das Interesse, diese Prozesse zu optimieren. Und das ist dann schon Customer Experience. Die Stärke dieses Konzeptes liegt darin, etwa den Servicetechniker als den Markenbotschafter 2.0 zu betrachten. Oder den Vertrieb zusammen mit dem Marketing zu denken, also alle Kundentouchpoints ganzheitlich und als Kreislauf zu sehen und daran zu arbeiten.

Tilo Freund: Klar nennt man es heute CX, aber im Kern geht es ja ganz klassisch um Kundenbeziehungen. Eine Customer Experience biete ich automatisch, sobald ich ein Angebot habe. Und hier ist der Brückenschlag interessant: Gute Customer Experience ist nicht nur das gute Produkt, oder der gute Service, oder das gute Marketing. Es ist das Gesamtpaket aus allem.

Sven Feurer: Der Kunde steht heute im Mittelpunkt der Unternehmensstrategie. Erfolgreich zu sein hängt nicht mehr allein von der Qualität der Produkte oder Dienstleistungen ab, sondern auch zum Großteil von der Nachhaltigkeit der Kundenbeziehungen. Daher sollten sich Unternehmen generell mit der Weiterentwicklung Ihrer Geschäftsbeziehungen und der Zusammenarbeit im Unternehmensnetzwerk beschäftigen.

Beobachtet Ihr mitunter Missverständnisse darüber, was CX ist und leisten kann?

Ron: Ich glaube, der Grundsatz, dass der Kunde König ist und sich in seiner Art des Kaufens und in seinem Verhalten verändert hat, den haben die meisten bereits verinnerlicht. Was hingegen unterschätzt wird, ist nicht die Bedeutung von CX. Sondern eher, ob Unternehmen insgesamt bereit für die entsprechenden Veränderungen sind. Habe sie die internen Prozesse, die Datenqualität, die Leute, die Tools? Bestimmte Abläufe lassen sich eben nicht von heute auf morgen auf links drehen.

Tilo: Genau. Aus meiner Sicht wird CX oft zu sehr an der Oberfläche gesehen. Bei diesem Thema wird mitunter nur gemessen, wie der Touchpoint zum Kunden aussieht. Aber welche Prozesse liegen dahinter? Es wird oft vergessen, dass die internen Abläufe genauso wichtig sind und große Mehrwerte bieten können. Auftragsprozesse sind dafür ein Paradebeispiel. Da wird oft etwas gemacht, nur weil es schon immer so war. Aber womöglich erzeugt es eine große Unzufriedenheit bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Vielleicht sieht etwas im Shop fancy aus, sorgt dahinter aber für Unmut. Ich muss mich also auch intern mit meinen Prozessen beschäftigen. Diese haben einen Impact nach außen.

Sven: Ein weiteres Missverständnis ist, dass Kundenorientierung nicht delegiert werden kann, sondern ein Team-Sport ist. Ein Beispiel: Transaktionale CRM-Systeme mit Prozessen, die am eigenen Unternehmen ausgerichtet sind, reichen häufig nicht mehr aus, um die steigenden Anforderungen heutiger Verbraucherinnen und Verbraucher zu erfüllen. Es geht darum, die Kunden und Interessenten ganzheitlich zu verstehen.

Was ist eurer Einschätzung nach der generelle Wissensstand in Bezug auf CX?

Ron: Man muss in Bezug auf Technologien hin und wieder mit Mythen aufräumen. Es gibt diese Buzzwords wie Machine Learning, KI, IoT, Industrie 4.0, Algorithmen, Scoring und teilweise eben falsche Vorstellungen davon, was das entsprechende System leisten kann. Klar kann mir das System theoretisch sagen, was meine beste Opportunity ist. Aber nur, wenn ich die entsprechenden Daten dafür habe, also Vergleichswerte und die internen Prozesse. Und davon sind manche Unternehmen noch viele Schritte entfernt. An dieser Stelle muss man oft die Erwartung geraderücken.

Tilo: Klar zu formulieren, was das eigentliche Ziel ist, ist oft eine Herausforderung. Ich behaupte, es gibt noch ausreichend viele Unternehmen, die nicht das richtige Mindset haben. Darum geht es dann bei mir oft: Was benötigen die Beteiligten eigentlich, um durch entsprechende Systeme einen Mehrwert zu bekommen? Es kann für den Vertriebskollegen beispielsweise sehr interessant sein, ob das Service-Ticket positiv oder negativ beschieden wurde, bevor er zum Kunden fährt. Die Vernetzung ist beim Thema Customer Experience entscheidend. Ich glaube, vielen ist noch nicht klar, dass in Zukunft vielleicht nicht mehr das ERP-Projekt das größte oder das mit der höchsten Wertschöpfung ist. Die großen Projekte, die, die wirklich Mehrwert bieten, sehe ich in Zukunft eher im Bereich CX.

Ron: Das wichtigste und wahrscheinlich auch das schwierigste sind eben die Prozesse. Die müssen an die Realität des Kunden angepasst sein. Viele beschäftigen sich meiner Meinung nach zu wenig mit damit. Das abzubilden, müsste aber viel wichtiger sein als die Abwägung von Softwarelösungen oder Technologien. Und die kann ich gerade im Bereich CX nicht komplett standardisieren. Die müssen laufend angepasst werden.

Sven: CX und der Bedarf an kundenorientierten Geschäftsmodellen ist in den allermeisten Vorstandsetagen angekommen. Auch das Verständnis darüber, dass CX nicht nur eine Aufgabe für das Front-Office, sondern eine unternehmensweite Disziplin ist, hat sich in den letzten Jahren stark entwickelt. Für Mitarbeiter aus Fachbereich und IT bedeutet das ebenfalls kontinuierlichen Einsatz und Weiterbildung zum Wohle der Kunden.

Sybit hat zum Thema Customer Experience mit SAP jüngst ein Buch geschrieben. Hat so etwas gefehlt?

Ron: Content ist in diesem Bereich immer hilfreich. Klar ist aber auch: Es gibt das ultimative Frage-Antwort-Tool nicht. Buzzword-Bingo bringt aber auch niemandem was. Das Hinführen zu realistischen Szenarien, die ich abarbeiten kann, das bringt mich weiter und bietet eine gute Orientierungshilfe. Auch das plakative Darstellen von Zielszenarien hilft einfach immer. Also einfach gesagt: ja.

Sven: Es mangelt sicherlich nicht an allgemeiner Lektüre zum Thema CX und der Transformation von Geschäftsmodellen. Allerdings ist es mit diesem Buch gelungen, den Mehrwert von SAP CX Lösungen für eine bessere Kundenorientierung aufzuzeigen und mit Best Practices aus der Praxis zu untermauern. Das gab es in dieser Form bisher noch nicht.

Tilo: Ja, schon allein deswegen, weil CX als Begriff von jedem anders definiert wird. Der zweite wichtige Punkt ist, dass es kein technisches, sondern ein menschliches Thema ist. Solange in einem Unternehmen keine einheitliche Meinung besteht, was CX bedeutet und vor allem was damit erreicht werden soll, wird das Thema wahrscheinlich scheitern.

Ist CX so schwierig, dass ich dazu ein 800-Seiten langes Buch lesen muss?

Tilo: Meiner Meinung nach sollten CX-Projekte sogar größer und relevanter sein als ERP-Projekte. Ich glaube, wenn man konsequent alle Facetten beleuchtet, dann ist CX einfach ein riesiges Thema. Weil man sich eben nicht nur mit einer Sache beschäftigen muss, nicht mit einem einzelnen Bereich. Die Kombination aus allem macht die Musik. Daher wundert mich der Umfang des Buches nicht.

Ron: Was das Buch außerdem etwas aufgebläht hat, sind die detaillierten Beschreibungen der einzelnen Lösungen. Wenn man ein Buch über SAP CX schreibt, dann müssen eben alle Lösungen auch eingeordnet werden. Wir mussten aber auch viel weglassen und Schwerpunkte setzen. Es hätte deshalb sogar noch länger werden können.

Sven: Ich würde das Buch eher als Nachschlagewerk sehen. Jeder, der im Unternehmen mit der Umgestaltung von Kundenprozessen etwa im Vertrieb, E-Commerce, Kundenservice oder Marketing vertraut ist, kann sich in diesem CX-Buch anhand von Anwendungsfällen rasch orientieren und den Funktionsumfang von SAP CX Lösungen besser kennenlernen.

Ron, du bist der Hauptautor. Was ist aus deiner Sicht das Highlight des Buches?

Ron: Das sind im dritten Teil die 22 realistischen CX-Szenarien. Wir haben aus Sales, Service, Marketing und Digital- und Commerce-Sicht fast alles mit drin. Von reinem B2C-Service zu B2B über die Kombination von Service und Sales – inklusive Predictive Maintenance, IoT, Händlerstrukturen – bis hin zu klassischen Kampagnen ist alles enthalten. Und das eben nicht singulär betrachtet, sondern über die Systeme hinweg. Kein dort dargestellter Prozess ist in diesem Sinne endlich, sondern geht über mehrere Bereiche, über mehrere Touchpoints und Systeme hinweg. Das Ganze haben wir plastisch dargestellt, mit User Stories, Rollen und Prozessschaubildern.

Nehmen wir an, die Lektüre überzeugt Unternehmen und sie möchten CX mit SAP umsetzen. Wie beginnen sie am besten?

Ron: Sie sollten sich fragen, was ihr wichtigstes Thema ist. Haben sie erkannt, dass Sie anachronistische Prozesse haben oder unzufriedene Kunden? Oder zu viele Absprünge? Möchten sie sich in Bezug auf die digitale Transformation kundenorientierter aufstellen? Dann sind diese Firmen schnell bei den klassischen Ansätzen, sprich Website, Shop, Portal. Es kann aber auch sein, dass Unternehmen schon sehr weit sind und sagen, dass sie nur ihren Field Service revolutionieren wollen. Einfach anrufen und uns fragen ist immer die einfachste Lösung.

Tilo: Das kommt darauf an, wo ich stehe, was ich machen will? Von innen heraus ist das aber oft schwierig, weil man ja teilweise in seinen eigenen Prozessen auch gefangen ist. Ich empfehle tatsächlich, jemand Externes zu suchen und gemeinsam auf die Themen zu schauen. Am besten jemand, der schon gesehen hat, wie es anderswo besser läuft, vielleicht auch mal aus einer anderen Branche.

Ron: Es geht ums Sortieren in dem ganzen Wust aus Begrifflichkeiten, Technologien und vermeintlichen Trends. Die goldene Regel in diesem ganzen CX-Dschungel lautet: Anfangen. Aber Strategie ist wichtig. Man sollte sich nur davon nicht zu lange aufhalten lassen. Wichtig ist, sich etwas zu trauen.

Sven: Das ist pauschal schwer zu beantworten, da es sehr auf die individuellen Bedürfnisse der Kunden ankommt. Allerdings stelle ich in den Gesprächen immer wieder fest, dass ein Teil der Unternehmen zunächst Ihren Fokus auf die Modernisierung von Sales + Service legt, während ein anderer Teil mit E-Commerce, Customer Data und Marketing beginnt. Je weiter sich das Unternehmen auf seiner „CX Journey“ befindet, desto offensichtlicher erscheinen auch die Vorteile einer integrierten „CX Suite“, wie sie beispielsweise SAP anbietet.

Was können Unternehmen von einem CX-Projekt realistischerweise erwarten?

Ron: Mehrwerte stellen sich im Service, speziell im Field Service, schnell ein. Im E-Commerce kann es dauern, bis der ROI erreicht wird. Quick Wins sind aber auch hier drin. Man kann Pain Points schon oft nach einer Woche ausbügeln. Zum Beispiel, wenn Bestellprozesse nicht abgeschlossen werden. Man kann also mit einfachsten Mitteln bereits oft etwas bewegen. Aber den einen Hebel, um die ganze Customer Experience zu verbessern, den gibt es nicht. Das ist ein umfassendes Projekt. Mit der Bereitschaft, an den Prozessen zu arbeiten – seien es auch zuerst die internen – schafft man schnell und automatisch positive Auswirkungen auf den Kunden.

Tilo: Ich würde da schlichtweg groß ansetzen. Ich bleibe auf Jahre am Markt bestehen, wenn ich mich heute mit dem Thema CX beschäftige. Das ist die Realität. Kein Unternehmen ist davor gefeit, von einem Marktbegleiter einfach verdrängt zu werden. Ich muss auf meine Kunden hören und daraus etwas generieren. Das ist Customer Experience.

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